Wie ein Radiofeature entsteht, Teil 2 – Mein Kampf mit der Definition: Welche Projekte gehören zur Sharing Economy und welche nicht?

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Wenn ich an einem Radiofeature schreibe, kommt früher oder später der Punkt, an dem ich völlig verwirrt bin. Ich werde von Zweifeln geplagt, weiß nicht, ob ich es schaffen werde, die vielen Puzzleteilchen zu einem großen Ganzen zusammenfügen, das unterhaltsam ist, die Zusammenhänge richtig darstellt und vor allem eine klare Aussage hat.

So früh wie diesmal kam diese Phase noch nie.

Dabei war alles so gut losgegangen: Voller Freude habe ich mich direkt ins Thema gestürzt, habe mit vielen Menschen gesprochen und Unmengen an Zeitungs- und Internetartikeln gelesen. Bin mit dem Uber-Taxi gefahren und habe mir übers Internet eine Putzkraft gebucht. Habe mich durch die Angebote der Verleihbörse frents.com geklickt, in der jeder alles zum Verleih anbieten kann, das er gerade nicht braucht, und habe versucht, das Geschäftsmodell der Huffingtonpost zu verstehen.

Dann kam der Tag, an dem ich zufällig in den St.Martins-Umzug einer Kindertagesstätte geriet. Und mich plötzlich fragte: Was ist das eigentlich: Teilen? Und was unterscheidet das Teilen im Sinne der „Sharing Economy“ eigentlich vom karitativen Teilen?

Gibt es eigentlich Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit ein Projekt zur „Sharing Economy“ zählt? Ich denke…. und damit nimmt der Schlamassel seinen Lauf.

 

„Im Schnee da saß ein armer Mann…“ und der Heilige Martin wurde deshalb heilig, weil er seinen Mantel mit dem armen, frierenden Bettler teilte. Das ist selbstlos und bewunderungswürdig. Aber ist das „Sharing Economy“? Wahrscheinlich eher nicht.

Martin hätte seinen Mantel auch verleihen können. Oder – gegen Geld – vermieten. Ist das dann Sharing Economy? Oder müsste er dafür seinen Geschäftspartner übers Internet finden? Eine Provision an einen Vermittler zahlen?

Doch, Moment! Sind Martin und der Bettler überhaupt „Geschäftspartner“? Wenn einer abgibt (verliert) und einer empfängt (profitiert)? Ein richtiges „Geschäft“ entsteht wohl erst mit dem Empfangen einer Gegenleistung. Egal ob in Form von Geld, Daten, Anerkennung oder einfach nur dem schönen Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Dann handelt es sich aber nicht mehr um Teilen, sondern um Tauschen.

Wie im Beispiel mit dem Uber-Taxi, das definitiv Teil der Sharing Economy ist. A hat ein Auto und freie Zeit. Er teilt beides mit B. Er verliert die Chance, sein Auto selber zu nutzen, er opfert seine Zeit, zahlt das Benzin und nimmt einen Wertverlust durch Verschleiß in Kauf. Er gewinnt Geld und irgendwie auch eine Arbeitsstelle. B gewinnt einen bequemen Transfer und kann – wie Professor Wippermann mir erklärt hat – seine Zeit optimal nutzen. Dafür verliert er Geld. Ein Tausch, der vorkommt so lange es Taxis gibt. Sind ganz normale Taxen dann auch Teil der „Sharing Economy“? Der Arzt, den man gemeinsam nutzt? Der Park?

Je länger ich über die Sharing Economy nachdenke, umso ratloser bin ich. Und es kommt noch schlimmer. Mir fällt Barbara ein, die Mutter einer Kollegin. Sie ist Teil eines „Nachbarschaftshilfevereins“, in dem man sich untereinander z.B. Schlittschuhe, Notenständer, Waffeleisen und Pavillonzelte ausleiht. Ist das ohne Entgelt „teilen“ und mit Entgelt „Sharing Economy“? Das eine durch und durch gut, das andere ein auf Bereicherung ausgerichtetes Geschäft?

Wenn die Motivation ins Spiel kommt und sich mit der moralischen Frage nach gut oder böse bzw – bzw. nach unterstützenswert und nicht-unterstützenswert – verbindet, komme ich dann komplett ins Schleudern. Denn zu guter Letzt haben wir noch einen ehemaligen Mitschüler von mir, nennen wir ihn „Marcel“. Marcel war nett, fleißig und nicht auf den Kopf gefallen. Und er unterstützte andere wo er nur konnte: Mehrmals pro Woche erledigte er für seine Mutter die Einkäufe, uns gab er Mathe-Nachhilfe, außerdem war er groß darin, Sonderangebote und diverse Gegenstände, die „irgendwie vom Laster gefallen waren“ aufzutreiben, die er dann gegen eine kleine Provision gerne für uns mitbesorgte. Denn Marcel ließ sich jede kleine Gefälligkeit bezahlen.

Hätte es sie damals schon gegeben, wäre Marcel der Prototyp des Mikrounternehmers im Sinne der „Sharing Economy“ gewesen. Aber war das nur eigenartig oder schon verwerflich? Schließlich haben auch wir profitiert: Wir schafften die Schule, waren mit den von Marcel abgelegten Klamotten, die er uns zu Sonderpreisen verkaufte, immer noch besser angezogen als unsere Klassenkameraden. Hm. Hätte Marcel ein Auto besessen, hätte er es sich ganz bestimmt mit uns „geteilt“. Hatte er aber nicht, obwohl er es sich hätte leisten können. Er fuhr lieber bei uns mit. Umsonst selbstverständlich.

Ich sehe ein, dass ich allein mit Nachdenken nicht weiter komme. Ich rufe eine große Suchmaschine zur Hilfe.

Der Begriff der Sharing Economy (auch: Share Economy) meint das systematische Ausleihen von Gegenständen und gegenseitige Bereitstellen von Räumen und Flächen, insbesondere durch Privatpersonen und Interessengruppen. Im Mittelpunkt steht die Collaborative Consumption, der Gemeinschaftskonsum.Der Begriff der Share Economy wird synonym oder – neben der ursprünglichen Definition von Martin Weitzman – in Bezug auf das Teilen von Informationen und Wissen verwendet. Gablers Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/sharing-economy.html

Martin Weitzman, der Harvard-Professor, der den Begriff „Sharing Economy“ in den 80-ern erstmals benutzte, meinte allerdings etwas anderes: „Sharing“ heißt nämlich auch „Beteiligung“.

Wenn ich den Wikipedia-Artikel dazu richtig verstehe, meinte Weitzman also gar nicht das, was wir heute als „Sharing Economy“ bezeichnen. Er bezieht sich auf die Arbeitswelt, nämlich auf erfolgsabhängige Vergütungen:

 Demzufolge sei eine Wirtschaft, in der erfolgsabhängige Vergütungen gezahlt werden, bei einem Konjunkturabschwung besser in der Lage, Arbeitslosigkeit zu verhindern, da sich die Arbeitskosten dynamisch der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers anpassen. Es entstehe nicht die Schwierigkeit, dass bei fixen Personalkosten und sinkenden Umsätzen Personal abgebaut werden müsse, um den Umsatzrückgang auszugleichen. So verbessere sich auch die Allokation von Arbeitskräften, da Mitarbeiter bei sinkender Vergütung infolge sinkender Gewinne ihres Arbeitgebers aus Eigeninteresse das Unternehmen verlassen, wenn sie in einem Unternehmen mit höherem Gewinn und daher besserer Vergütung einen Arbeitsplatz erhalten können. http://de.wikipedia.org/wiki/Share_Economy

Die Unternehmer teilen ihre Gewinne mit ihren Angestellten. Das scheint auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam zu haben mit „Teilen und Tauschen via Internet“ oder „Benutzen statt Besitzen“ Und dass z.B. Uber seine Gewinne mit seinen Angestellten teilt, kann man so explizit wohl auch nicht sagen.

Aber es gibt zum Glück noch mehr Lesarten. „Sharing“ ist das Gerundium zu „to share“ – in diesem Sinne wäre die Übersetzung „die teilende Wirtschaft“. Alle teilen alles mit allen, vielleicht sogar in kommunistischer Tradition?

Der Vollständigkeit halber ist auch noch „Shareconomy“ zu nennen, eine Wortkreation der Deutschen Messe AG zur Cebit 2013. Mit einer Wortkreation aus Share und Economy verbindet die CeBIT 2013 aktuelle Entwicklungen und den Wandel vom Besitzen zum Nutzen und vom Kaufen zum Teilen. http://blog.cebit.de/2012/09/10/shareconomy-top-thema-cebit-2013/

 

Immerhin habe ich jetzt schon einen Fragenkatalog.

Ich beschließe, jeden einzelnen meiner Interviewpartner zu fragen, was genau er oder sie eigentlich unter „Sharing Economy“ versteht.

Ist es „Sharing Economy“, wenn ich

  • etwas spende (wie der Heilige Martin)?
  • ein Buch bei ebay verkaufe?
  • meine Bohrmaschine verleihe?
  • einen Freund mit meinem Auto zum Flughafen fahre?
  • gemeinsam mit den anderen Hausbewohnern eine Waschmaschine anschaffe?
  • ein Video oder einen Artikel über Facebook „teile“?
  • meine Gedanken mit anderen „teile“?

Welche Rolle spielt es,

  • wem das Geteilte gehört?
  • ob ich eine Gegenleistung (Geld) bekomme?
  • ob ich meine Sharing-Partner kenne oder über das Internet finde?
  • ob durch das Sharing Ressourcen geschont werden?

Eine Antwort

  1. Ursula
    |

    Sag mal: Gehören Projekte, wie „rent a rentner“ auch zur sharing economy? Funktioniert ja auch ohne Internet…

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